Als ich gestern Morgen auf den Parkplatz gefahren bin, ist mir besonders deutlich aufgefallen, was man seit Wochen mit zunehmender Verbreitung auf den Straßen sieht und was seit der letzten WM scheinbar Tradition geworden ist: Die Autos mit Objekten in den Deutschlandfarben (vor allem, aber nicht ausschließlich: Deutschlandflaggen) zu schmücken.
Wieder einmal befindet sich das Land im Taumel von Schwarz-Rot-Gold, wieder einmal geht die Euphorie durch das Land, wieder werden es Leute toll finden, wieder werden Leute was dagegen haben und wieder einmal wird es auch die geben, die den Unterschied zwischen den (für Normalbürger verbotenen Dienst-)Flaggen mit Bundesschild und den (inoffiziellen, daher geduldeten) mit Bundeswappen nicht kennen.
Und zwischen all der Freude und den Massenbesäufnissen public viewings öffentlichen Bildschirmdarbietungen breitet er sich wieder aus, der Nationalstolz. Der Patriotismus den unser Land nötig hat und den es auch verdient hat. Denn es ist schön wenn der Sport verbindet. Aber so lange es nicht hetzerisch oder kriegerisch gegen andere geht, sollten wir das öfters haben. Nationalstolz ist nämlich nichts böses.
Ich nehme das mal zum Anlass, um einen Artikel aus meinem alten, toten Blog auszugraben (was ich noch ein paar mal machen werde), der sich mit diesem Thema anlässlich der WM 2006 beschäftigt hat.
[ Originalartikel vom 05.07.2006, 23:47:47 CEST ]
Nun ist es vorbei mit der Hoffnung auf den Titel. Zumindest für dieses Mal. Aber es gibt ja noch das Spiel um den dritten Platz. Alles in allem jedoch kein Grund traurig zu sein. Unsere Nationalelf hat bei dieser Weltmeisterschaft Leistungen gezeigt, die ihr vorher kaum jemand zugetraut hätte. Und wir haben einen Trainer, den die meisten Leute nicht aus dem Amt scheuchen würden, trotz der Tatsache, dass wir den Titel nicht errungen haben. Das ist doch mal erfrischend positiv.
Nun aber kommt ein, in meinen Augen, wirklich interessanter Part. Die Nachwirkungen. Oder besser gesagt das, was sich durch die WM geändert hat. Ich rede vom Patriotismus, der Vaterlandsliebe, und dem Nationalstolz. Die Begeisterung der Leute, der Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl. Wird das alles noch weiter bestehen? Entsteht aus dem Partypatriotismus vielleicht noch ein Funken echten Nationalstolzes? Ich würde es mir wünschen, denn ich finde ein bisschen mehr Patriotismus und Nationalstolz würden diesem Land, von dem manche immer noch meinen, man müssen sich seinetwegen schämen, gut tun.
Du bist Deutschland! Viele haben die eigentliche Aussage dieser Kampagne gar nicht verstanden. Die Extremfälle haben sie sogar gleich ins Negative umgedreht. Dabei war Patriotismus sogar nur als Sekundärprodukt gedacht. Eine Nation zu sein bedeutet eine Gemeinschaft, ein großes Team, zu sein. Und in dieser Gemeinschaft sollte man auch zusammen arbeiten. Jeder gibt sein bestes, damit alle was davon haben, und man selbst hat was davon, weil andere dies auch tun. Aber nein, die Botschaft kam leider nicht überall an, weil gleich die geistige Blockade kam. Traurig. Geradezu erbärmlich.
Und wie vieles leider immer noch historisch bedingt. Ich kann dieses Rumgenöle wegen unserer Vergangenheit nicht mehr hören. Ja wir haben Mist gebaut. Aber das ist über 60 Jahre her. Sechzig Jahre! Das ist der Großteil eines Menschenlebens. Die meisten Verantwortlichen von damals leben schon gar nicht mehr. Wir haben uns bei allen möglichen Leuten entschuldigt und sonst noch was getan. Es ist vorbei. Ständige Schuldgefühle bringen niemandem was. Auch die Opfer haben es verdient, endlich in Frieden ruhen zu können. Erinnern, Gedenken, Mahnen. Alles gut und wichtig, so etwas schreckliches darf nicht noch einmal passieren. Aber bitte in Maßen. Und bitte nicht in allen möglichen Lebenslagen daran denken müssen. Meine Generation und sogar die Eltern dieser Generation, haben damit nichts zu schaffen gehabt. Gut, ich möchte dieses Thema jetzt nicht weiter austreten. Ich denke mein Standpunkt ist klar.
Eigentlich möchte ich ja auf die „Probleme“ hinaus, die daraus entstehen. Nehmen wir nur mal unsere Nationalflagge. Ich kann nicht in die Zukunft sehen, drum gehen wir in die Vergangenheit. Die nahe Vergangenheit. Gehen wir einfach mal ein Jahr zurück. Wo war da auch nur eine einzige Deutschlandflagge zu sehen? Sehr, sehr vereinzelt vielleicht, klein und versteckt. Aber ansonsten hatte man echt Schwierigkeiten herauszufinden, in welchem Land man sich eigentlich befindet. Selbst an den meisten Rathäusern und öffentlichen Gebäuden war/ist keine Flagge anzutreffen. Sehr schade eigentlich. Klar, der Beflaggungserlass (vereinfachte Erklärung) schreibt meist nur an bestimmten Tagen vor, dass eine Flagge gehisst wird. Aber so wie ich das sehe, verbietet der Erlass es an den anderen doch nicht, oder? Wenn ich da andere Länder betrachte (nehmen wir nur mal unsere neutralen Südnachbarn), in denen jeder Schrebergarten einen eigenen Mast mit dazugehöriger Flagge hat, dann ist das bei uns schon ein wenig kümmerlich.
Viele Kritiker der deutschen Flagge(n) meinen, dass wir aufgrund unserer Vergangenheit nicht so selbstverständlich damit umgehen könnten. Ungeachtet meiner schon kund gemachten Meinung zum Umgang mit der Vergangenheit, halte ich es für absoluten Unsinn. Die schwarz-rot-goldene Trikolore geht zwar bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurück (bspw. Befreiungskriege oder Märzevolution (siehe Bild)), wurde aber nicht als Flagge während der Weltkriege eingesetzt. In beiden Fällen wurde die schwarz-weiß-rote Flagge des Deutschen Reiches verwendet (sowie im zweiten Weltkrieg zusätzlich noch die Hakenkreuzflagge). Zudem ist die rein schwarz-rot-goldene Flagge (ohne Bundesschild) nicht mal als Kriegsflagge einsetzbar, doch das ist jetzt Griffelspitzerei.
Ist es so verkehrt sich mit seinem eigenen Land zu identifizieren, es gar zu lieben? Ist es so falsch gar stolz auf sein Land zu sein? Manche meinen, das Problem beginnt, wenn die Flaggen bei den Leuten nach der WM noch hängen bleiben. Aber wieso bitteschön? Übertriebene Paranoia oder gar Engstirnigkeit gegenüber dem, dass es auch was Gutes sein kann? Patriotismus und Nationalstolz führen nicht zwangsläufig zum Nationalismus und schon gar nicht zwingend zum Rassismus. Oder ist ein schlechtes Beispiel gleich „wegweisend“?
Patriotismus ist ein Ausdruck der Abgrenzung gegenüber den anderen. Behaupten zumindest Gegner der Vaterlandsliebe. Das stimmt in gewisser Weise, aber es geht auch anders. Denn nur weil man sein Land liebt, heißt das noch lange nicht, dass man alle anderen hasst. Oder hasst man alle anderen Menschen, nur weil man beispielsweise seine eigene Familie liebt?
Ich erinnere mich da gerne an die Fernsehbilder vom Spiel Holland gegen Argentinien. Fans beider Mannschaften haben gemeinsam vor und nach dem Spiel gefeiert. Ein orange-blaues Durcheinander. Und das war kein Einzelfall während der bisherigen WM. An diesem Beispiel entlanghangelnd, kann man die Sache noch besser sehen. Ja, Patriotismus schafft eine Abgrenzung gegenüber den anderen. Aber sie schafft auch eine Gemeinschaft innerhalb dieser Abgrenzung. Zwei Berliner laufen auf der Straße einfach aneinander vorbei, weil sie keine Gemeinsamkeit haben. Dortmund und München spielen gegeneinander und jede Seite hat ihre Gemeinschaft. Deutschland spielt gegen Italien und wieder hat jede Seite einen eigenen Zusammenhalt. Gleichzeitig sind Deutsche und Italiener trotzdem keine Feinde. Vielleicht auch keine Gemeinschaft, aber zumindest Freunde.
Das Ziel des Internationalismus ist, dem Ganzen noch eins draufzusetzen und alle Menschen zu einer Gemeinschaft zu bringen. Ein hehres Ziel, keine Frage. Aber momentan nicht möglich. Meiner Meinung nach ist die Menschheit noch nicht bereit für eine uneingeschränkte Gemeinsamkeit. Zu groß die Unterschiede und Ziele. Zu groß vor allem auch noch das grundmenschliche Bedürfnis nach einem Feindbild. Wann haben denn alle Nationen zuletzt dick an einem Strang gezogen? Wenn mich nicht alles täuscht nach dem 11. September, im gemeinsamen Kampf (bzw. der Zusicherung zu diesem) gegen den Terrorismus. So kurz dieses Erlebnis auch war, so deutlich macht es wiederum, dass der gemeinsame Gegner noch benötigt wird. Wenn also nicht schon ein paar Außerirdische um die Ecke warten, um uns dieses Feindbild zu liefern, müssen wir wohl noch abwarten, bis sich die Menschheit von alleine weit genug entwickelt hat. Und das wird schon noch werden. Wenn man bedenkt, dass wir von einzelnen Stämmen zu Staaten und sogar Staatengemeinschaften gekommen sind, dann wird es früher oder später auch noch weiter führen. Aber bis dahin klappen Friede, Freude, Eierkuchen eben nicht so richtig.
Feindschaften, Rivalitäten und unterschiedliche Meinungen wird es auch immer geben. Die einen wollen halt blau, die anderen rot. Aber mal ganz ehrlich. Wenn man die Kriege und den ganzen Mist weglässt, macht es doch Spaß einen Gegner zu haben. Es macht Spaß gegen die andere Mannschaft zu wettern (nicht zu verwechseln mit ernsten Beleidigungen). Mit anderen zu wetteifern. Und bis es soweit ist, dass alle Menschen in Frieden miteinander leben, bis wir alle eine Gemeinschaft sind… ist es da nicht schon ein guter Anfang, dass wir eine starke und stolze Gemeinschaft in unserem Land bilden?